Den Tod vor Augen, aber das Leben im Blick

Ein Blick hinter die Kulissen unserer Intensivabteilung

Der Fachbereich der Intensivmedizin ist spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie in aller Munde. Dabei denken viele Menschen im ersten Augenblick an negative Dinge, wie Sterben, Tod oder kalte medizinische Geräte. Dabei sieht die Realität im Arbeitsalltag der Kolleginnen und Kollegen auf unserer Intensivstation meist ganz anders aus. Denn besonders an diesem Ort steht der Mensch und sein Leben in der Gesamtheit im Fokus der Behandlung. Ein Blick hinter die Kulissen unserer Intensivstation.

Rund 60 Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Team der Anästhesie- und Intensivmedizin des Clementinenhauses in einem rotierenden System. „Ein großer Vorteil“, findet Sabine Rösler, die pflegerische Leitung dieses Bereichs. „Wenn die Arbeit auf der Intensivabteilung einmal zu belastend für den Einzelnen wird, kann man so den Bereich für einige Zeit wechseln.“ Auch Dr. Martin Wagner, Leitender Oberarzt sieht Vorteile in dieser Arbeitsweise. „Wenn man Intensivmedizin macht, arbeitet man auch in der Anästhesie anders.“ Der Perspektivenwechsel zwischen beiden Fachbereichen bereichere den Blick für die Gesamtheit des menschlichen Körpers.

Gleichzeitig, so betont er, sei es die Natur des Intensivmediziners, mit allen anderen Fachbereichen vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und stets in enger Abstimmung mit den ärztlichen Kollegen, der Pflege, Physiotherapeuten, Logopäden und Kollegen aus der Ergotherapie zu sein. Denn arbeiten in der Intensivmedizin bedeutet: arbeiten im Team. Und das stets interdisziplinär und multiprofessionell. „Während der Fachexperte sich um das beschädigte Organ kümmert, behält der Intensivmediziner alle anderen Körperfunktionen und ihr Zusammenspiel im Blick“, sagt Dr. Wagner.

Der Mensch steht im Mittelpunkt

Schnell wird klar, dass im Bereich der Intensivmedizin der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens steht. Sowohl auf Patienten- als auch auf Personalseite. „Natürlich brauchen wir Hochleistungs-Medizintechnik, wie Überwachungsgeräte, Geräte zur künstlichen Beatmung, Spezialbetten und Geräte zur Mobilisation, um die Patienten zu behandeln“, sagt Dr. Wagner. Auf der anderen Seite ist eine intensive menschliche Zuwendung und eine ebenso intensive professionelle und berufsgruppenübergreifende Betreuung der Patienten entscheiden für den Behandlungserfolg. Denn das erklärte Ziel der Intensivmedizin ist ein ansprechbarer, (früh-)mobilisierter und trotzdem stress- und schmerzfreier Patienten, um Delir-Zustände des Patienten möglichst zu vermeiden. Diese Form der intensiven Patientenbehandlung kann nur mit entsprechendem Personalaufwand erreicht werden kann, was die Bedeutung der pflegerischen Leistung und Fachexpertise in diesem Bereich nochmals hervorhebt.

„Hier kämpfen wir immer noch gegen Vorurteile an, denn in der Öffentlichkeit dominiert immer noch das Bild des klassisch narkotisierten Patient im künstlichen Koma, der an ein paar Maschinen angeschlossen ist, die vom Personal überwacht werden. Das entspricht definitiv nicht unserem Arbeitsalltag“, erklärt Dr. Wagner.

Vielmehr verfolgen die Kollegen der Intensivabteilung das Ziel, die Patienten möglichst zweimal täglich aus dem Bett heraus zu mobilisieren und ihm Physiotherapie, oder auch einen Aufenthalt im angrenzenden Innenhof des Altenheims zu ermöglichen. „Man glaubt es gar nicht, welch positiven Effekt es auf einen isolierten Intensivpatienten hat, wenn durch eine kurze Fahrt in den Außenbereich die Angehörigen nach langer Zeit einmal wiedergesehen, oder der Hund wieder einmal gestreichelt werden kann“, weiß Sabine Rösler.

Den Patientenwillen im Fokus

Für ihre Patienten ein festes Therapieziel zu definieren und eine Langzeitperspektive zu schaffen: daran arbeitet das Team der Intensivabteilung täglich. Dabei steht nicht nur die Gesundung des betroffenen Organs, sondern in erster Linie auch Fragen der Lebensqualität im Vordergrund. Um die Patienten darin bestmöglich zu unterstützen, sind häufig viele Gespräche mit Patienten und Angehörigen nötig, die viel Zeit in Anspruch nehmen. „Zeit, die wir uns immer gerne und selbstverständlich nehmen. Zeit, die uns aber im Gesundheitssystem kaum mehr zur Verfügung steht und ebenso unzureichend vergütet wird“, sagt Dr. Wagner.

Hat COVID etwas auf der Station verändert?

Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde schnell klar, dass die Beatmungsgeräte zwar ein zentraler aber nur einzelner Baustein in der Behandlung von COVID-Patienten sein können. Der Einsatz von ausreichend qualifiziertem Pflegepersonal, das diese Geräte bedienen kann, wurde für die Behandlung bald wichtiger. Eine Behandlung, für die kaum unterstützende Medikamente zur Verfügung standen. Eine Behandlung, die in erster Linie durch die intensive Betreuung der Ärzte und Pflegenden gestützt wird und den Faktor Mensch in der Patientenbehandlung nochmals hervorhebt.

Die Corona-Pandemie hatte außerdem zur Folge, dass vor dem Hintergrund einer drohenden TRIAGE  sehr schnell Diskussionen und Prozesse zum Einbeziehen des Patientenwillen entstanden sind. „Eine positive Entwicklung, die hoffentlich auch nach der Pandemie über alle Krankheitsbilder hinweg beibehalten und ausgebaut wird.“ Das zumindest wünschen sich Dr. Wagner und das gesamte Team, wenn sie weiter daran arbeiten, Menschen zurück ins Leben zu holen.

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